Ohne Russisch in Russland (über)leben: Geht das?
Quelle: Moskauer Deutsche Zeitung
Russland genießt den Ruf, mit Ausländern ohne Kenntnis der Landessprache wenig Erbarmen zu haben. Was die Alltagsprobe aufs Exempel zeigt, weiß einer ganz bestimmt: Unser Autor Frank Ebbecke schlägt sich seit Jahr und Tag in Moskau ohne Russisch durch. Hier sein Erfahrungsbericht.
Da ist einer schon im elften Jahr Moskauer Bürger. Hat das Gastland kreuz und quer bereist, vieles gesehen, gehört, gespürt und gelernt. Nur immer noch nicht die Landessprache. Ich. Einfach, weil nie geplant, dass aus einem beruflichen Entsendungsauftrag eine wohl unendliche Geschichte wird. Einfach, weil sich immer wieder andere Türen geöffnet haben. Mit beidseitig viel Neugier und Offenheit. Zum Glück: In Moskau und auch St. Petersburg lässt es sich mit Englisch gut überleben, ab und an sogar mit deutschen Wortbrocken, besonders im Umgang mit der jüngeren Generation. Nur außerhalb der Metropolen mehren sich dann doch die fragenden Gesichter.
Ganz allgemein hat mich eine grundsätzliche, historisch eigentlich schwer zu begründende Sympathie der Russen zu Deutschland und den Deutschen durch die ganzen Jahre getragen. Auch deshalb war mir bei so mancher sprachlichen Hilflosigkeit schnell die einfallsreiche Unterstützung der Einheimischen sicher.
Heute kann ich wenigstens die kyrillische Schreibweise flüssig entziffern. Äußerst nützlich, denn von Hinweis- und Straßenschildern bis zur Produktbeschriftung in Geschäften und Speisekarten beherrscht das Russische selbst die Weltstadt Moskau. Obwohl sich das jüngst zu wandeln beginnt. Im Hauptverkehrsmittel Metro ist das Englische optisch und akustisch auf dem Vormarsch. Schließlich stehen in diesem und im nächsten Sommer in Russland zwei Fußball-Weltturniere an.
Was die Verständigung ansonsten erleichtert? Flapsig gesagt, zwei gesunde Arme und Hände, richtungsweisender Blickkontakt und eindeutige Lautmalereien. Bevor ich zum Beispiel wusste, wie man hier „Eier“ sagt, habe ich unter heftigem Gackern Flügelschlagbewegungen vorgeführt. Die Bedienung in meinem Nachbarschaftsgeschäft kann noch immer darüber lachen. Heutzutage erleichtern Hilfsmittel wie ein Smartphone mit seinen zahllosen Internetinhalten und bildhaften Darstellungen ein erfolgreiches Miteinander. Navigationsassistenten gab es allerdings noch nicht, als ich einmal in die Fänge eines Polizisten geriet – berechtigt: Auf der Suche nach meiner Zieladresse hatte ich die Abkürzung durch eine Einbahnstraße in falscher Richtung genommen. Meine erkennbare Verzweiflung und radebrechenden Erklärungsversuche ließen ihn wortlos auf den Beifahrersitz klettern. Mit eindeutigen Handbewegungen lotste er mich aus der Gefahrenzone zum gewünschten Haus. Die „Schtraf“ durfte ich bar entrichten.
Ärzte und Pflegepersonal waren Russen ohne große Fremdsprachenkenntnisse, als ich eines Nachts zu einer Notoperation in eine „Expat-Klinik“ eingeliefert wurde. Gerade raus aus der Narkose, saß der Operateur mit zwei Gläschen Wodka an meinem Bett: „Wir haben’s geschafft“ – seine beruhigende Geste für den gebeutelten Patienten fern der Heimat war auch ohne Worte zu verstehen. Seitdem sind wir Freunde.
Beim obligatorischen Gesundheitscheck in der örtlichen Poliklinik fiel der gestrenge Blick des Mannes im weißen Kittel sofort auf meinen deutschen Pass und die Untersuchung nach stundenlanger Wartezeit erholsam kurz aus. Schon knallte er wohlwollend lächelnd den ersehnten Stempel auf das Papier: „Deutsch, gutt, gesund“.
Ämter- und Behördengänge sollten nach Möglichkeit vermieden werden. Wenn in Deutschland ein Formular auszufüllen ist, sind es hier mindestens zwei. Da verzweifeln bisweilen sogar Ortsansässige. Und unsereins braucht Freunde mit endlos viel Zeit.
Nun aber, nachdem ich seit geraumer Zeit einen Lehrauftrag bei der Präsidenten-Akademie RANEPA erfülle, fühle ich mich geradezu verpflichtet, mir dort auch intensiv russische Sprachinfusionen verabreichen zu lassen. Inzwischen kann ich mich fließend und akzentfrei vorstellen, mich für mein schlechtes Russisch entschuldigen, andere begrüßen und mich von ihnen verabschieden. Nachfragen wie „Wer“ und „Was“, „Wo“ und „Wohin“ gehen mir schon flott über die Lippen. „Wsjo budet choroscho“, wie der Russe so gern sagt: Alles wird gut.